Nachdem es lange Zeit so ausgesehen hatte, als ob sich
die beiden verfeindeten NATO-Mitglieder Griechenland und Türkei näher
gekommen wären und bereit schienen, sich beim nun schon Jahrzehnte
dauernden Streit über die Hoheitsrechte in der Ägäis zu einigen, sind
diese Hoffnungen quasi über Nacht zerstört worden. Ein NATO-Manöver,
an dem sich beide Staaten beteiligten, endete am Wochenende in einem
Fiasko.
In den letzten zwölf Monaten hatten sich Athen und
Ankara mit tatkräftiger Hilfe der NATO und der EU wieder angenähert.
Nach der gegenseitigen Erdbebenhilfe (beide Länder waren kurz
nacheinander von Beben heimgesucht worden) war auch die Öffentlichkeit
in den beiden Ländern zu weiteren Schritten in Richtung Verständigung
bereit. Nun hat das türkische Militär jedoch Knüppel in die Räder
der Verständigungspolitik geworfen. Mit großem Erfolg. Inzwischen
befinden sich beide Länder wieder auf dem alten Pfad, auf dem sie sich
stets am Rande der bewaffneter Auseinandersetzung bewegt haben. Außerdem
droht der Konflikt, auf den alten Spannungsherd Zypern überzugreifen,
wo UNO-Truppen nach wie vor die Waffenstillstandslinie schützen.
Angeblich zum Schutz der türkischen Minorität hatte
1974 die türkische Armee in den innerzypriotischen Konflikt
eingegriffen, danach ein Drittel der Insel besetzt und türkische Bauern
aus Anatolien dort angesiedelt. Seither ist das Land geteilt. Am
Dienstag warnte der türkisch-zypriotische Führer, Rauf Denktasch, daß
die griechische Seite einen neuen Krieg riskiert, wenn sie die
Zielerfassung ihres Flugabwehrradars weiterhin auf türkische
Kriegsflugzeuge richtet. Denktasch reagierte auf einen Zwischenfall vom
letzten Sonntag, bei dem zwei türkische Flugzeuge in den
griechisch-zypriotischen Luftraum in der Nähe einer Luftwaffenbasis
eingedrungen waren, auf dem sich auch Flugzeuge der griechischen
Luftwaffe befanden, die dort mit ihren griechisch-zypriotischen Verbündeten
ein Manöver durchführten. Dabei waren die türkischen Flugzeuge von
Flugabwehrraketen erfaßt worden, die seit Tagen wegen wiederholter türkischer
Versuche, griechische Flugzeuge an der Teilnahme am zypriotischen Manöver
zu hindern, in erhöhter Alarmbereitschaft standen. Auch über der Ägäis
war es in den letzten Tagen wiederholt zu gefährlichen Konfrontationen
zwischen griechischen und türkischen Kriegsflugzeugen gekommen.
Dabei hatte die Entwicklung noch vor zwei Wochen ganz
anders ausgesehen. So beteiligten sich griechische und türkische
Armee-Einheiten am NATO-Manöver mit dem Codenamen »Destined Glory« in
der Ägäis. Die amerikanische Manöverführung hoffte, trotz aller
territorialer Differenzen »Destined Glory« problemlos zu Ende zu
bringen.
Allerdings fielen auch die zwei griechischen Inseln
Limnos und Icaria in das Manövergebiet. Diese liegen unweit der türkischen
Küste am Zugang zum strategisch wichtigen Bosporus. Um diese beiden
Inseln wird zwischen Türkei und Griechenland seit Jahrzehnten - bisher
lediglich auf der diplomatischen Bühne - ein erbitterter Streit geführt,
der auch im NATO-Hauptquartier in Brüssel schon für manches
Kopfzerbrechen sorgte. Die Türkei beruft sich auf den Vertrag von
Lausanne von 1923, wonach die Inseln demilitarisiert sind. Für
Griechenland gilt jedoch der spätere Vertrag von Montreux, der die
Beschränkungen aufhebt. Folglich besteht Griechenland auf seinem Recht,
sein Territorum in Limnos und Icaria auch militärisch zu nutzen, was
von der Türkei wiederum als Provokation angesehen wird. Das Angebot
Griechenlands, den Streit vor dem Internationalen Gerichtshof in Den
Haag auszufechten, hat Ankara stets abgelehnt.
Zum Eklat zwischen Athen und Ankara kam es nun beim
Manöver »Destined Glory«, als der kommandierende US- General abreiste
und das Kommando an die Türkei fiel. Die Türken verboten daraufhin den
Griechen, mit ihren Jagdbombern den Luftraum über Limnos und Icaria zu
benutzen. Genau darauf aber hatten die Griechen bestanden. Versuche
griechischer Jäger, über Limnos zu fliegen, wurden daraufhin von türkischen
Jägern massiv behindert. Nun überstürzten sich die diplomatischen
Aktivitäten. Die NATO in Brüssel und Washington wurde eingeschaltet.
Athen drohte, vorzeitig das NATO-Manöver zu verlassen. Die Türken aber
blieben stur. Letzten Sonntag zog Athen die Konsequenzen und brach seine
Teilnahme am Manöver ab.
Anschließend kündigte der griechische
Verteidigungsminister Akis Tsochadzopoulos an, daß seine Regierung im
Rahmen der türkischen Beitrittsverhandlungen zur EU die Sache für
Ankara wieder schwieriger machen werde.
Rainer Rupp
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