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Im Sandwich auf der Sonneninsel
 
Die Lehrerin, der Schriftsteller, der Druckereibesitzer – im türkischen Teil Zyperns hat Kritik am Regime üble Folgen

 
 

Lefkosia, im Januar – Sie sei eine „hübsche Hündin“, haben sie geschrieben. Nett war das nicht gemeint. Nilgün Orhon hat feine Züge und lockiges rotes Haar. Sie lacht gern, wenn sie ihre Geschichte erzählt, auch wenn diese gar nicht komisch ist. Nilgün Orhon ist Lehrerin, aber sie darf seit fünf Wochen ihr Klassenzimmer nicht mehr betreten. Manchmal geht sie noch einen Kaffee trinken in ihrer Schule. Sie habe ihre Ehre als Pädagogin verletzt, stand in dem Entlassungsbrief. Was hat Frau Orhon getan, hat sie einen Schüler geohrfeigt? Nein, die 40-jährige Geschichtsdozentin aus Lefkosa, der Hauptstadt der allein von der Türkei anerkannten Republik Nordzypern, hat einen Zeitungsartikel verfasst. Der gipfelte in den harmlos klingenden Sätzen: „Ayse soll nach Hause gehen. Ihr Urlaub ist zu Ende.“

Damit war Nilgün Orhon die Hündin, die Landesverräterin, denn sie hat ein Tabu verletzt. Sie hat mit zwei simplen Sätzen die mächtige türkische Armee aufgefordert, Zypern zu verlassen. „Ayse“ ist ein Codewort. Bevor türkische Truppen 1974 auf der Mittelmeerinsel landeten – erst nur, um Gewalt gegen türkische Zyprioten nach einem griechischen Umsturz zu verhindern –, da gab der damalige türkische Außenminister Turan Günes der Armee den Marschbefehl mit der Formel: Ayse kann in Urlaub fahren. Und jetzt, 27 Jahre später, sind die türkischen Soldaten immer noch auf der zwischen Türken und Griechen geteilten Insel, und zwar so viele, dass sie sich in Lefkosa fast auf die Füße treten: rund 40000 Mann schützen und bewachen die 207000 Bürger Nordzyperns.

Aber dies soll ja bald alles ganz anders werden. Griechen und Türken wollen noch in diesem Jahr die Spaltung ihrer Insel überwinden, die Grenze öffnen und die alten Kriegswunden schließen. An diesem Mittwoch beginnen der 82-jährige griechisch-zypriotische Präsident Glafkos Klerides und sein 77-jähriger türkischer Erzrivale Rauf Denktasch eine neue, vielleicht entscheidende Verhandlungsrunde, auf dem neutralen Territorium der Vereinten Nationen im geteilten Nikosia, das auf türkischer Seite Lefkosa heißt. Und selten waren in diesem Vierteljahrhundert der Teilung die Hoffnungen auf einen Durchbruch so groß wie jetzt.

Deshalb ist die Geschichte der Lehrerin Nilgün Orhon auch so verwirrend, denn sie passt so wenig zu den offiziellen Friedensparolen. Der Feldzug gegen die Pädagogin begann in einer Zeitung namens Volkan (Vulkan). Das Blatt wurde erst jüngst in Lefkosa gegründet, sein Titel lässt blutige Erinnerungen wach werden. Volkan hieß in den 50er Jahren auch die von Rauf Denktasch gegründete türkische Widerstandsbewegung gegen die griechische EOKA, die wiederum gegen die damalige britische Kolonialherrschaft und auch gegen die Türken kämpfte. Den alten Namen hat eine so genannte Nationale Volksbewegung (UHH) erst im vergangenen Jahr aus der Mottenkiste geholt, mit dem Segen von Denktasch.

Eine Grenze wie in Berlin

Der langjährige, autokratische Führer der Inseltürken trägt in den Augen seiner Kritiker die Hauptverantwortung für das Klima der Einschüchterung, der Isolation und der Depression im Nordteil Zyperns. „Warum streckt Denktasch eine Hand zum Frieden aus und schlägt mit der anderen Hand jene, die den Frieden wollen?“, fragt der türkisch-zypriotische Schriftsteller Ümit Inatci. Auch er hat jüngst seinen Job an der Universität verloren – wegen ein paar frecher Artikel, wie die Lehrerin Nilgün Orhon. Diese erschienen in dem Oppositionsblatt Avrupa (Europa), das mit dem türkischem Nationalismus nichts zu tun haben will. Zwei Bombenanschläge gab es gegen die Druckerei von Avrupa, im Dezember wurde das Redaktionsinventar konfisziert, weil Chefredakteur Sener Levent die Strafen für „Beleidigungsklagen“ nicht zahlen konnte. Nun hat seine Zeitung einen neuen Namen: Afrika – ein satirischer Protest. Das fast leere Büro des Chefs schmückt ein Holzschnitt des schwarzen Kontinents. „Wir werden wohl nur über Afrika nach Europa kommen“, sagt Levent, der nicht glauben mag, dass die Grenze durch seine Stadt bald zerbröckeln könnte wie 1989 die Berliner Mauer.

Nur 50 Meter von dieser Grenze entfernt hat der sozialdemokratische Politiker Mustafa Akinci sein Büro. Tourismusminister war der Mann mit den wachen Augen und dem schwarzen Schnauzer, außerdem Bürgermeister von Lefkosa, 14 Jahre lang. Er hat dafür gesorgt, dass die Abwässerkanäle unter der geteilten Stadt nicht ethnisch getrennt wurden. Für dieses bikommunale Projekt hat Akinci gemeinsam mit seinem griechischen Kollegen internationale Auszeichnungen erhalten.

Aber er wollte mehr und hat dafür auch seinen Preis bezahlt. Bis vor acht Monaten war er stellvertretender Regierungschef. Dann wurde er aus der türkischen Inselführung „hinausgedrängt“, wie er sagt. Der 54-Jährige hatte seine konservativen Partner mit dem Wunsch provoziert, die Polizei der zivilen Verwaltung zu unterstellen. „Selbst die Feuerwehr steht bei uns unter militärischer Kontrolle“, sagt Akinci und grinst, als sei dies ein böser Witz und nicht absurder Alltag.

Akinci musste aber auch gehen, weil er seinen Chef Rauf Denktasch kritisierte, als dieser im Dezember 2000 die UN-Gespräche zur Zukunft Zyperns verließ. Nun sitzt der alte Fuchs Denktasch wieder am Verhandlungstisch, und Akinci triumphiert, aber nicht zu laut, weil er gewissermaßen den Atem anhält. So als wollte er das neue Friedensfeuer nicht gleich wieder ausblasen. „Das ist jetzt unsere letzte Chance“, sagt er. Viele glauben, Akinci werde in einem neuen Zypern eine zentrale Rolle spielen. Er selbst träumt schon von einer einheitlichen Inselwährung: „Das wird der Euro sein.“

Vor dem Haus, in dem Akincis Partei TKP Quartier genommen hat, steht ein prächtiger Mandarinenbaum, er trägt jetzt im Winter reichlich Früchte. In der verlassenen Nachbarvilla hat das Strauchwerk den Terrassenboden gesprengt. „Zu verkaufen“ steht an vielen Gebäuden in Lefkosa. Wer die angegebenen Telefonnummern wählt, erfährt, dass die Schilder auch ein stummer Protest sind. Sie sollen sagen: wir gehen auch noch weg, wenn es nicht endlich Frieden gibt.

Spielhöllen und Banken

„Was ist denn so falsch an der Grenze?“, fragt hingegen Tahsin Ertugruloglu, der „Außenminister“ der Republik Nordzypern. Er hat ein geräumiges Büro mit feinen Polstermöbeln, aber die Flure in seinem Ministerium sind leer. Ankara bestimmt hier die Leitlinien der Politik, aus Ankara auch kam erst jüngst die Drohung, man werde Nordzypern gänzlich der Türkei einverleiben, wenn der griechische Süden der Insel, wie geplant, demnächst in die EU aufgenommen wird. Umfragen zeigen allerdings, dass die Mehrheit der Bürger Nordzyperns lieber heute als morgen in die EU aufgenommen werden möchte. So spüren Ankara und das Denktasch-Regime, dass ihnen die Zeit davon läuft. Auch deshalb wird jetzt wohl wieder verhandelt in Nikosia.

Der türkische Nachrichtensender NTV hat bereits nah am Grenzzaun Position bezogen. Vom Dach des Gebäudes hat man einen exzellenten Blick auf die andere Seite. Dort türmt sich der terrassierte Beton, ganz wie in Thessaloniki oder Athen. In den engen Altstadtgassen im türkischen Norden scheint die Zeit dagegen stehen geblieben – wären da nicht die Banken an fast jeder Ecke und die vielen Spielcasinos. Zyprioten haben zu den Spieltischen keinen Zugang, türkische Staatsbürger schon. Eine Spielhölle und ein Bankenparadies habe Ankara aus ihrem Land gemacht, schimpfen türkische Zyprioten. Viele mögen auch die rund 60000 Siedler aus Anatolien nicht, die seit 1974 auf die Insel gekommen sind. Die genaue Zahl dieser Neubürger ist eine Art Staatsgeheimnis, ebenso wie die Stärke des Militärs.

Der Druckereibesitzer Hasan Kahvecioglu glaubt, sie zu kennen. Er erhält jedes Jahr den Auftrag, das Einwickelpapier für die Schokoladentäfelchen zu drucken, die jeder Soldat zum Ende des Ramadan erhält. Es sind 39 000 Stück. Kahvecioglu, der eigentlich Journalist ist, hat bis vor kurzem eine beliebte Fernsehsendung moderiert; sie wurde abgesetzt. Die Jagd auf „Verräter“ hat in Lefkosa paranoide Züge. „Wir leben in einem Sandwich: auf der einen Seite drückt Ankara, auf der anderen ist die Grenze“, sagt Kahvecioglu, der 1952 selbst im Süden geboren wurde.

Zypern ist eine Insel der bitteren Geschichten, auch von den Toten wird in den neuen Friedensgesprächen wieder die Rede sein. Die griechische Seite macht 1619 Vermisste geltend, die 1974 Opfer der türkischen Militärs geworden sein sollen. Die türkische Seite hält etwa 800 eigene Tote dagegen. Eines dieser Opfer war der Vater der Lehrerin Nilgün Orhon. Er starb am 20. Juli 1974, dem ersten Tag der türkischen Truppenlandung. Das hat ihn zum „Märtyrer“ gemacht. Seine Tochter hat dies nicht vor der Ächtung bewahrt

 

 

 

 

 

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