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ERSCHIENEN IN DER          Frankfurter Rundschau 

Rheinischer Grieche

 

Heimatkunde (9): Jenseits statischer Miniparadiese

Von Mark Terkessidis

Zum ersten Mal in Griechenland war ich kurz nach dem Ende der Militärdiktatur. Die erste Begegnung mit meiner Familie hinterließ Gefühle zwischen Überrumpelung und Empörung. Ein Mann, der meinem Vater recht ähnlich sah, stürzte auf mich zu, um mich auf dem Arm aus dem Gebäude zu tragen - mein Onkel interessierte sich wenig dafür, dass ich bereits neun war. Danach folgte eine endlose Prozession mir damals völlig unbekannter Frauen, die mich küssten und in Arme und Wangen kniffen. Doch als Heranwachsender gewöhnt man sich schnell und nach wenigen Tagen spielte ich auf den ungepflasterten Straßen des ärmlichen Athener Vorortes Nikea mit den anderen Jungs Fußball oder zog mit meinem neuen Freund Ioannis um die Häuser. Die Verstörung in bezug auf so etwas wie Heimat war freilich nachhaltig. Auch die nächsten Jahre war ich immer wieder über die Selbstverständlichkeit dieser familiären Bindung verwundert - mit einem Land, das zur damaligen Zeit und in meinem Alter als weit weg galt und in dem einiges anders funktionierte als zu Hause.

Vorher war Griechenland nur der abstrakte Ort der ununterbrochenen einheimischen Erkundungen in fremder Herkunft gewesen, die routinemäßig gelangweilt mit einem "Ja, ich bin Halbgrieche" quittiert wurden. Trotz des bald jährlichen Aufenthalts in Athen änderte sich daran nicht viel - richtig Griechisch lernen war mir sowieso zu anstrengend. Allerdings begann ich die regelmäßigen schulischen Nachfragen, wie es denn "bei uns" so zugehe, weniger ungern zu beantworten: Schließlich konnte ich endlich mit authentischer Vor-Ort-Erfahrung glänzen. Die freudige Einpassung ins einheimische Bild von der eigenen Fremdheit wurde jedoch mit einer zunehmenden Verwirrung darüber erkauft, wer mit diesem 'Wir' eigentlich gemeint sein sollte.

Nach dem Abitur endeten vorerst die Reisen nach Griechenland, weil die Familie sich wie so oft bei Auswanderern über Erbschaftsangelegenheiten in die Haare bekommen hatte. Zur gleichen Zeit wurde das abstrakte Griechenland jedoch bei der einsetzenden Suche nach Identität immer wichtiger. Es waren seltsame Tage, in denen ich zusammen mit einem ebenfalls halbgriechischen Freund von unserem neuen Griechentum halluzinierte - ich hatte nie da gelebt und er durfte nicht mehr hin, weil er sich um den Wehrdienst drückte. Die ständige einheimische Unterstellung, dass wir eigentlich Griechen seien, verwob sich mit Griechenland-Bildern, die zwischen romantischer Hellasbegeisterung und alternativtouristischer Phantasterei schwankten.

Schließlich beschloss ich, es ernsthaft mit dem Griechisch-Lernen zu versuchen. Der Kurs wurde von einem einheimischen Professor geleitet, der noch heute eine wichtige Rolle im sogenannten Kulturaustausch zwischen der Bundesrepublik und Griechenland spielt. Er hatte mit seiner Identifikation erstaunlicherweise überhaupt keine Mühe: Er sprach stets von uns Griechen. Derweil fand er mich, wie er wiederholt betonte, nicht Griechisch genug - ich war zu ernst. Offenbar erwartete der Professor von mir jene lächerliche Zuschaustellung des natürlichen Kraftmenschentums, das man immer noch allzu oft in griechischen Lokalen zu sehen bekommt - irgendwo zwischen Sorbas und Patros. Den Kurs habe ich nicht beendet.

Dass ich seitdem an Heimat überhaupt das Interesse verloren hätte, kann ich nicht behaupten. Aber Heimat erscheint mir wahlweise als Klischee oder als fürchterlich komplizierte Angelegenheit. Aus meiner Familiengeschichte lässt sich nicht einmal eine halbwegs integrierte Biografie konstruieren. Während meine Mutter in den 40-er Jahren im ostbelgischen Malmédy lebte - mein Großvater war dort Leiter der Wirtschaftsabteilung - bettelte mein Vater im von der Hungersnot gebeutelten Athen deutsche Besatzungssoldaten um Essen an. Meine Großeltern väterlicherseits wiederum sind pontische Griechen, die 1923 aus Trabzon vertrieben wurden - also der Türkei.

Nun ist das nomadische Leben voller Brüche in diesen postmodernen Zeiten durchaus zum Ideal geworden - freilich nur für jene, deren Verwurzelung als Deutsche nicht in Frage steht. Die tatsächlichen Bastarde jedoch sind stets entweder nicht fremd oder nicht assimiliert genug. Mittlerweile betonen viele Einwandererkinder, sie hätten beide Kulturen. Damit kann ich auch nicht dienen - meine Eltern wollten in erster Linie ein sicheres Auskommen und hatten für Kultur keine Zeit.

Vielleicht könnte ich noch meinen rheinischen Akzent in die Waagschale werfen und meine Bereitschaft, stets zu Fuß nach Köln zu gehen. Doch die Suche nach dem Schlupfloch namens Heimat erscheint mir müßig - meine Erfahrung sagt mir, dass es keine statischen Miniparadiese jenseits von Globalisierung und Nationalität gibt.

Früher flohen die Unzufriedenen vor der schön geordneten bürgerlichen Welt in die Fremde, heute sehnen viele sich angesichts der allgemeinen Unordnung nach Heimat. Als der Dichter Paul Nizan mit 20 Jahren, angewidert von seiner Heimat Frankreich, ins jemenitische Aden floh, fand er dort nur eine ungeschminkte Version der Zustände zu Hause. Und so beschloss er, zurückzukehren und für einen Ort zu kämpfen, den er "meine Bleibe" nennen konnte, ohne zu erröten.

 

Frankfurter Rundschau 2001

 

 

 

 

 

 

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